„An Demenz Erkrankte kommunizieren feiner“

Sophie Rosentreter Foto: Katrin Schoening

Liebe und Humor erleichtern den Kontakt, findet Sophie Rosentreter

Frau Rosentreter, Demenz mit Leichtigkeit begegnen, lautet Ihr Wahlspruch. Viele Menschen können das nicht verstehen. Was entgegnen Sie ihnen?

SOHPIE ROSENTRETER: Aufopfernde Menschen werden oft selbst zum Pflegefall. Vor allem die ältere Generation empfindet es oft als persönliche Schwäche, sich Hilfe zu holen. Dabei ist dies eine Stärke. Doch Scham, falscher Stolz, Eheversprechen, auch der Druck der Gesellschaft führen dazu, dass Menschen wirklich alles geben, um einen geliebten Menschen zu pflegen. Deshalb geht es mir darum, den Pflegenden einen Koffer voller Möglichkeiten an die Seite zu stellen und ihnen das Leben leichter zu machen. Mit Liebe und Humor kann man demenziell veränderte Menschen neu kennen lernen. Und sich selbst auch.

Sie sprechen von einem Koffer voller Möglichkeiten. Was bedeutet das?

ROSENTRETER: Vor allem in der Anfangsphase, auch später, dreht sich alles um die Krankheit und das Funktionieren: Hast du die Tabletten genommen? Warum hast du das schon wieder vergessen? Als Pflegender wird man ungehalten, auch wütend und es beginnt eine Abwärtsspirale, weil man kaum eine innere Verbindung zu dem erkrankten Menschen hält. Mit einer Haushaltsunterstützung etwa gewinnt man Zeit, um gemeinsam in den Park zu gehen, Enten zu füttern oder ein Fotoalbum anzuschauen.

Das kostet Geld, was etliche Menschen nicht haben.

ROSENTRETER: Die Finanzen sind tatsächlich eine große Hürde in der Pflege. Aber es gibt Pflegestützpunkte, spezielle Cafés, wie „Konfetti im Kopf“ oder das Projekt mit Hunden „Vier Pfoten für Sie“. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, sich ehrenamtlich helfen zu lassen. Auch immer mehr Kontakte zwischen Kindern und demenziell veränderten Menschen. Es gibt viele neue Angebote in den letzten Jahren. Die Barrieren sind eher in den Köpfen. Das merke ich während meinen Vorträgen und Seminaren. Danach sind viele Pflegende motivierter und offener, weil sie mehr Möglichkeiten sehen. Es gibt nicht die eine Lösung. Aber es gibt viele Lösungen in allen Ecken.

Sie bieten solche Lösungen auf Ihrer Homepage „Ilses weite Welt“ an. Wie sehen die aus?

Sophie Rosentreter sucht den Kontakt mit dementiell erkrankten Menschen, um von ihnen möglichst viel und direkt zu erfahren. Foto: privat

ROSENTRETER: Ich mache Filme, entwickle dazu Begleitmaterial, schreibe Bücher und es gibt auch ein Aufklärungsbuch über Demenz von mir. Nur ein Beispiel: Ich habe mal in einem Pflegeheim neben einer älteren Frau gesessen, die Fernsehen schaute. Die sagte immer nur: „Das ist zu schnell.“ Ältere Menschen können unserer Alltagsgeschwindigkeit überhaupt nicht folgen. Außerdem sind sie wie zurückgesetzt in ein Alter zwischen 5 und 25 Jahren. Deshalb habe ich Filme fast wie in Echtzeit gedreht: Kinder, die in einen Tierpark gehen, über die Natur oder über das Backen. Das sind Themen, zu denen Demente eher Kontakt haben, die Erinnerungen wecken und über die man sich mit ihnen unterhalten kann.

Sie sagen, an Demenz erkrankte Menschen gehen in ein früheres Alter zurück.

ROSENTRETER: So pauschal würden Wissenschaftler das sicherlich nicht sagen. Aber ich erinnere mich, dass meine Omi mal etwas entgeistert guckte, als meine damals 60-jährige Mutter sie mit den Worte: „Hallo Mutti“ begrüßte. Ich konnte sehen, dass meine Omi sich wie 20 Jahre fühlte und diese für sie ältere Frau etwas sagte, dass völlig an ihrer Realität vorbei ging. Dementiell veränderte Menschen kommunizieren mit uns aus einer anderen Welt und vielleicht sogar feiner. Wenn wir uns darauf einstellen und empathischer reagieren, wird es leichter. Es hilft nichts, zu sagen „Das ist doch nicht so schlimm“, wenn ein naher Mensch nicht mehr weiß, wie die Kaffeemaschine funktioniert. Wir sollten den Schmerz fühlen, der darin steckt, und entsprechend reagieren. Wie bei einem Kind, das hingefallen ist. Demente Menschen sind oft wütend, weil etwas nicht mehr so klappt wie früher. Dann sollten Begleiter auch mal in gemeinsamer Wut mit auf den Tisch hauen.

Heißt das, Pflegende sind zu wenig empathisch?

ROSENTRETER: Nein, ich habe großen Respekt vor Menschen in Pflege- und Sozialberufen. Sie bekommen viel zu wenig Anerkennung und ihre Bezahlung entspricht nicht ihrer Leistung. Es sind sehr komplexe Beziehungen, in denen sich Pflegende in solchen Einrichtungen bewegen. Viele Angehörige haben das Gefühl, sie haben versagt, weil sie die Pflege ihrer Eltern oder ihres Partners in professionelle Hände geben. Aus diesem scheinbaren Versagen entspringen viele Vorwürfe oder kontrollierendes Verhalten. Beispielsweise: Meine Mutter bekommt nicht das richtige Essen. Oder: Haben Sie auch für Bewegung gesorgt. Gleichzeitig sollen diese Pflegekräfte, die unter Effizienzdruck stehen und notorisch zu wenig Zeit haben, mit den Dementen im Augenblick sein und individuell reagieren. Wirklich, da habe ich großen Respekt. Meine Angebote sollen auch in Pflegeheimen die Arbeit erleichtern.

Wie sind Sie auf die Idee von Ilses weite Welt gekommen?

ROSENTRETER: Meine Omi ist vor rund zehn Jahren an Demenz erkrankt und ähnlich wie die meisten Menschen heute, besaßen meine Mutter und ich wenig Wissen über die Krankheit und wenig Ahnung, was wir zusammen tun können. Es war ein schrittweises Lernen und Entdecken. 2007 gab es ja noch viel weniger Material als heute. Heute kann ich sagen, die Beziehung zu meiner dementen Omi hat mich reifer und größer gemacht.

Sie waren mal Model und MTV-Moderatorin. Eine ganz andere Welt. Wie passt das zusammen?

ROSENTRETER: Vielleicht ist das von außen schwer zu verstehen. Aber für mich ist mein Weg sonnenklar. Ich profitiere von meinen früheren Erfahrungen, weil ich mit den Medien kommunizieren kann, gerne Interviews gebe und Filme produziere. Ich bin eine Kommunikatorin und werde mich künftig auf Vorträge und Seminare konzentrieren. Und ich gehöre hierhin, an diesen Platz mit dem Thema demenziell erkrankte Menschen.


Jens Gieseler ist Kommunikationsberater, Journalist und Heilpraktiker für Psychotherapie. In den letzten beiden Lebensjahren war sein Vater pflegebedürftig. Deshalb hat er sich mit der Pflegebürokratie herumschlagen müssen und viel Sensibilität für das Altern und Sterben entwickelt. Erkenntnis: Beziehungen werden immer wichtiger.