Pflegerecht: Mit einem Bein im Knast

Was Pflegekräfte rechtlich tun dürfen und nicht dürfen

Pflegerecht ist ernst, aber deshalb bitte nicht sauer werden 🙂 (Foto: Fotolia)

Eine demenzerkrankte Seniorin weiß nach dem Mittagschlaf nicht mehr, wo sie sich befindet und will auf die Straße laufen. Der Pfleger bringt sie in ihr Zimmer und will nur kurz zuschließen, weil er dringend bei einem anderen Patienten benötigt wird. Entspricht das dem „Pflegerecht“ – also Sozialrecht? Nein. Damit stehen Pflegekräfte mit einem Bein im Knast. Worauf man aufpassen muss, auch wenn man nur Gutes im Sinn hat.

Die persönliche Freiheit

Nicht selten wissen sich Pflegekräfte nicht anders zu helfen, als die persönliche Freiheit von Heimbewohnern einzuschränken. Will etwa die Demenz-Erkrankte aus dem Haus laufen, ist der erste Gedanke, diejenige aufzuhalten. Stoppen und mit den Händen festhalten ist erlaubt. Doch rechtlich problematisch ist es bereits, die verwirrte Frau einzuschließen, das Bettgitter hochzuklappen, sie mit einer Spritze komplett ruhig zu stellen oder auch nur leicht zu fixieren. Punkt im Pflegerecht ist, dass sich eine alte Person daraus nicht selbst befreien kann. Selbst, wenn ein Pfleger das „nur kurz“ so lassen möchte, bis er den laut schreienden Senior im Nebenzimmer auf‘s Klo gebracht hat.

Richtig rechtfertigen

Zwar kann teilweise die mutmaßliche Einwilligung des Klienten vor Richtern zählen. Genauso können sich Pflegekräfte ihr Handeln durch einen Notstand rechtfertigen (§34 StGB). Zum Beispiel, wenn ein Senior mit seinem Stock um sich schlägt und der Pflegende ihn einschließt. Aber dann muss ein Pfleger sofort die Polizei und den Arzt rufen.

Richterbeschluss muss her

Egal ob Fixieren oder Ruhigstellen: Letztlich erlaubt sind diese Dinge nur, wenn der richterliche Beschluss und eine wirksame Einwilligung des Seniors oder seines gesetzlichen Vertreters vorliegen. „Diesen bekommen Pflegeheime oftmals recht schnell, weil letztlich ja das Leben der Pflegebedürftigen in Gefahr ist“, sagt Rechtsanwältin Christiane Piesker. „Der Aufwand dafür ist nicht besonders hoch“, fügt die auf Sozialrecht sowie Miet- und Wohnungseigentumsrecht spezialisierte Fachanwältin hinzu.

Plumper Versuch

Die Anwältin führt ihre Kanzlei in Künzelsau und kennt viele Fälle. Zum Beispiel gibt es ein Altenheim, das statt Schlüsseln Zahlencode-Schlösser an allen Türen hat. „Die Heimleitung redet sich raus, dass alle Bewohner ihren Code ja kennen. Doch wenn ein Bewohner die Kombination vergisst, sei das eben so“, erzählt sie. Das sei nur ein plumper Versuch, das Recht der Leute zu umgehen. Richterliche Beschlüsse sind zudem weitaus günstiger als Zahlenschlösser zu bekommen. „Würde sich ein Angehöriger beschweren, ließe sich in diesem Fall wohl sofort eine einstweilige Verfügung und Strafanzeige erwirken“, sagt Piesker.

Haft oder Geldstrafe

Der Tatbestand der persönlichen Freiheitsberaubung ist dann erfüllt, wenn der Klient – auch nur vorübergehend – keine Möglichkeit hat, sich frei fortzubewegen. (Geregelt im Strafgesetzbuch § 239 I.) Das passiert schnell und „vorübergehend“ ist offen zu interpretieren. Je nachdem, wie streng ein Richter ist, kann es unbedenklich oder schlecht ausgehen: Bis zu fünf Jahre Haft oder Geldstrafen drohen.

So geht’s richtig

„Letztlich sollten Altenpfleger sich anders zu helfen wissen, als durch Freiheitsentzug“, sagt Rechtsanwältin Piesker. Zum Beispiel, indem sie die Senioren mit einer persönlichen Frage ablenken. Oder sie rufen bei Renitenz einen Arzt, der die Seniorin kurzfristig in eine stationäre Einrichtung einweist, wo sie medikamentös richtig eingestellt werden kann.

Fahrlässige Körperverletzung

Den Arzt und die Polizei rufen sollten Pflegekräfte auch, wenn ein Bewohner etwa trotz Kontrollgang nachts wegen einem Zufall aus dem Heim entwischt. „Oftmals zögern Heimleiter sehr lange, das zu tun, weil sie um ihren Ruf fürchten“, weiß Piesker. Und diese Dinge kommen meist eh ans Licht. Transparente Öffentlichkeitsarbeit helfe dann am besten.

Doch solange die Pflegenden den Schützling sofort suchen und die Polizei alarmieren, bleiben Heim und betreffende Pflegekraft normalerweise straffrei. Selbst wenn der Senior im Winter Erfrierungen erleidet.

„Doch wenn sich an der Organisationsstruktur zeigt, dass es bisher eher Zufall war, dass niemand unbemerkt ausbüxte, haftet der Einrichtungsleiter mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafen“, erklärt die Rechtsanwältin.

Magensonden sind nur erlaubt, wenn sie medizinisch notwendig sind. Foto: Hellerhof, Wikimedia Commons

Magensonde und Katheter brauchen guten Grund

Ein weiteres Delikt, das Pflegeheime leicht begehen, ist ein Verstoß gegen die körperliche Unversehrtheit. „Wenn Pflegende bis zu zwei Stunden brauchen, bis sie einen Bewohner fertig gefüttert haben, lassen sie gerne Magensonden setzen“, weiß Piesker.

Oder sie lassen einen Katheter in die Blase einsetzen, wenn ansonsten jede Stunde die Windel zu wechseln wäre. Vor allem, wenn sich die Angehörigen kaum um die Pflegebedürftigen im Heim kümmern, sei das schon häufig vorgekommen. Doch dafür benötigen Einrichtungen die Vorsorgevollmacht und ebenfalls den Richterbeschluss. „Solange es medizinisch nicht notwendig ist, sondern nur die Arbeit der Pflegekräfte erleichtert, geht das aber leider nicht“, weiß die Rechtsanwältin mit 16 Jahren Berufserfahrung.

Vorsorgevollmacht

Den Senioren zu empfehlen, Vorsorgevollmachten auszustellen, sei richtig, meint Piesker, die seit fünfeinhalb Jahren ihre eigene Kanzlei hat. Denn sobald Menschen wegen Konzentrationsproblemen oder Verwirrtheit nicht mehr geschäftsfähig sind, können diese greifen. Doch Pauschalaussagen in den Vollmachten seien meist sinnlos und würden selten anerkannt. „Kanzleien und Notare haben gute, detaillierte Vorlagen, die auf spezielle Situationen wie den Sterbevorgang oder Besserungsfälle eingehen“, sagt die 45-Jährige. Beim Ausstellen der Vollmacht sollten zuerst ein Rechtsanwalt befragt werden, „weil viele Begriffe eben doch nicht so klar sind und oftmals mehr bedeuten, als man denkt“, sagt die Fachanwältin.