Pflege allein zu Haus: Urlaub und Kurzzeitpflege

Pflegende Angehörige verzichten teilweise Jahrzehnte auf Urlaub

Ein Ausflug in die Natur: Viele pflegende Angehörige nehmen ihren Urlaub stundenweise. (Foto: Fotolia)

Pflegende Angehörige pflegen häufig rund um die Uhr. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Wer in den Urlaub fahren will, muss Kurzzeitpflege beantragen. Wiebke Worm erklärt im zweiten Teil ihrer Urlaubs-Kolumne, warum Kurzzeitpflege für Sie keine Option darstellt.

Kurzzeitpflege kommt für mich nicht in Betracht. Tja, selber Schuld, mag jetzt manch einer denken. Aber abgesehen vom notwendigen Papierkram, der Zeit und Kraft frisst: Wie soll ich denn einen Urlaub allein genießen? Für mich ist Urlaub immer eine schöne Zeit mit meinem Mann gewesen. Ich kann und möchte mir Urlaub alleine gar nicht vorstellen.

Gewissensfragen

Sicher kenne ich genug Leute, die ich besuchen könnte. Familie oder Freunde, einige würden sich freuen, mich zu sehen. Trotzdem: Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren! Und wäre damit auch nicht „frei“ für richtige Erholung. Fakt ist: Mir geht es gut, wenn es meinem Mann gut geht. Und das tut es, wenn ich seinen (und meinen) Tagesablauf sicherstellen kann.

Kurzzeitpflege ist keine Option

Seit meinem intensiven Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen verfestigt sich meine Einstellung: Kurzzeitpflege kommt für uns nicht in Frage. Ich bin sehr froh, zwischendurch auch von guten Erfahrungen zu lesen. Es gibt also Hoffnung! Die negativen Fälle überwiegen allerdings.

Urlaub in Portiönchen

Es gibt viele pflegende Angehörige wie mich, die sich deshalb ihren Urlaub stundenweise holen. Sie gehen raus, entweder mit Hund, oder ohne. Einen Kaffee trinken, fotografieren, Bäume umarmen oder sich auch einfach nur am seltenen Lächeln des geliebten Menschens erfreuen, den sie pflegen. Dies über Jahre und Jahrzehnte.

Umfrage: Wann hattet ihr euren letzte richtigen Urlaub

Auf meiner Facebookseite „Wir pflegen unsere Lieben“ habe ich eine Umfrage gestartet und pflegende Angehörige gefragt, wann sie ihren letzten ‚richtigen Urlaub‘ hatten. Die Antworten haben mich erschüttert und traurig gemacht. An dieser Stelle danke ich allen, die so ehrlich geantwortet haben.

Neun Jahre ohne Urlaub

Im Durchschnitt haben diese pflegenden Angehörigen seit knapp neun Jahren keinen Urlaub mehr gehabt! Unter den 43 pflegenden Angehörigen, die mir innerhalb weniger Stunden antworteten, sind einige seit über 20 Jahren nicht mehr verreist.
Und dann dürfen sie sich noch dumme Sprüche anhören wie

„Sei doch froh, dass zu Hause bleiben darfst und nicht arbeiten gehen musst.“

Tut mir leid, wenn ich das höre, graust es mich. Ich finde das unfassbar. Solche Menschen sollten mal einige Tag Pflege übernehmen. Ich bin sicher, dass sie nie wieder so dämliche Sprüche bringen würden.

Kurzzeitpflege kostet Zeit und Nerven

Mir haben pflegende Angehörige geschrieben, die Kurzzeitpflege ausprobiert haben und ihren Trip abbrechen mussten. Andere haben ihren ‚Pflegling‘ in so schlechtem Zustand wiederbekommen, dass sie nie wieder Kurzzeitpflege beantragt haben. Nur wenige pflegende Angehörige können wegfahren. Einmal im Jahr abschalten! Für ein Wochenende, eine Woche oder zehn Tage. Jeder dieser Kurzurlaube kostet Unmengen Energie: Wer verreisen will, muss Anträge stellen, Kurzzeitpflegeplätze organisieren und dann müssen Einrichtung oder Pflegedienst noch „passen“.

Individuelle Bedürfnisse können im Pflegeheim nicht berücksichtigt werden. Dafür fehlen Zeit und Personal.

„Da muss Ihr Mann durch“ist für mich kein Argument!

Mal abgesehen davon, dass ich alleine im Urlaub nicht glücklich wäre: Warum „muss er dadurch“? Wem steht es zu, so etwas zu sagen?

Ja, ich habe das so zu hören bekommen. Sogar von Ärzten. Ärzten, die weder ihn noch mich wirklich kannten. Wer solche Sprüche bringt, sollte über Entmündigung nachdenken. Und darüber, wie er sich in ähnlicher Situation fühlen würde.

Echte Hilfe ist selten

Viel zu wenige pflegende Angehörige haben das große Glück, echte Hilfe zu finden. Dafür nimmt das gesamte Pflegesystem zu wenig Rücksicht auf pflegende Angehörige. Wir brauchen Hilfe, die wir mit gutem Gewissen annehmen können. Dazu müssen Politiker mit uns reden, uns bei Entscheidungsprozessen mit einbeziehen und nicht nur über uns reden.

Hilflos im Heim

Mein Fazit: Ich ginge kaputt, wenn ich meinen Mann hilflos in einem Heim zurücklassen müsste. Zurücklassen in dem Wissen, dass niemand ihm um vier Uhr morgens aufhelfen würde, egal wie weh seine Beine tun. Wissend, dass niemand die Zeit hätte, ihm bei PC-Eingaben zu helfen, wenn er die Maus oder die Tasten nicht mehr drücken kann. Wissend, dass – nein, ich könnte endlos weiter aufzählen, deshalb beende ich das hier. Es geht für mich um Lebensqualität und die hätte er in keinem Heim. Und was wir mit einem Pflegedienst erlebt haben, hat mein Vertrauen nicht gestärkt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ihre Erfahrungen mit Kurzzeitpflege

Wie geht es Ihnen? Können Sie sich vorstellen wie es ohne Urlaub, aber unter Dauerbelastung ist? Wann war Ihr letzter erholsamer Urlaub? Wenn Sie pflegen, machen Sie von Kurzzeitpflege Gebrauch? Ich freue mich auf Ihre Rückmeldungen!

Ihre Wiebke Worm

 

Über Wiebke Worm

Wiebke Worm schreibt die Pflegebibel-Kolumne Pflege allein zu Haus. Die Buchautorin, Illustratorin und Fotografin pflegt ihren MS-kranken Mann. Gemeinsam mit Betroffenen und anderen pflegenden Angehörigen hat die ehemalige Crew-Managerin den Sammelband Wir bauen eine Brücke herausgegeben. Über ihre Facebook-Seite Wir pflegen unsere Lieben betreut sie die Aktion Herzensangelegenheiten, die Aufmerksamkeit für die Lebensumstände pflegender Angehöriger schaffen soll. Bei uns schreibt die Autorin über ihren Pflegealltag und gibt nützliche Tipps für pflegende Angehörige und Betroffene.