Gäste sind keine Patienten

Demenzgruppe Welzheim: Betreuungsprogramm für betroffene Menschen

Mit Geduld und Verständnis auf die Gäste zu gehen, (Foto: Fotolia)

Die Pflege eines Angehörigen mit Demenz ist kräftezehrend. Oft bleibt Betroffenen kaum eine freie Minute. Diese Pflegehelden will Andrea Knödler mit ihrem Angebot entlasten. Einmal pro Woche lädt sie Menschen mit Demenz ein.

Gäste keine Patienten

Für uns sind die Besucher Gäste, keine Patienten“, betont Andrea Knödler. Seit September 2007 leitet sie die Demenzgruppe in Welzheim bei Stuttgart. Die gelernte Krankenschwester und ihre acht ehrenamtlich geschulten Mitarbeiterinnen sind jeden Dienstag von halb drei bis halb sechs für maximal acht Gäste zuständig. Jedem Menschen mit Demenz steht ein ehrenamtlicher Helfer zur Seite. In dieser Zeit singen sie zusammen, basteln, machen Sport oder gehen bei gutem Wetter spazieren. „Meine Mutter hat mich auf den Job gebracht als die ehemalige Leiterin in den Ruhestand ging“, erinnert sich die 54-Jähirge.

Vom Osterhase, der seine Eier noch färben muss

Zur Begrüßung liest Knödler jede Woche ein Gedicht laut und deutlich vor. Heute dreht es sich um Ostern. Gebannt lauschen die Teilnehmerinnen der Geschichte des Hasen, der seine Eier noch färben muss. Passend dazu liegen Hasen und Eier auf dem Tisch, die die Teilnehmer betrachten können. Nach dem gemeinsamen Essensspruch: „Wir reichen uns die Hände, nach guter alter Sitt und wünschen uns zum Kaffeetrinekn guten Appetit“, greifen Gäste und Mitarbeiter zu Kaffee und Kuchen.
Diesen Dienstag gibt es etwas Besonderes. Ein Osterbrot, passend zum kommenden Osterwochenende. „Wir versuchen zur Jahreszeit passende Themen zu wählen“, erklärt Knödler. Und: „Eine individuelle Betreuung ist uns sehr wichtig.“ Daher finden maximal acht Gäste Platz am Kaffeetisch. Neben jedem Teilnehmer sitzt einer der ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter, der Kaffee nachschenkt, Krümmel abputzt oder Kuchennachschub organisiert.
Während der Kaffeerunde erzählt jeder die Neuigkeiten der Familie. Von Enkel Ludwig, der nun endlich auf der Welt ist; vom Sohn, der nochmals heiratet oder von Geschichten vergangener Ostertage. Wie doch früher alles vermeintlich besser war.

Demenz ist individuell

Demenz verläuft von Person zu Person verschieden“, weiß die erfahrene Krankenschwester.
So ist eine Besucherin oft überzeugt, die anderen würden über sie lachen, obwohl dies nicht der Fall ist. Eine Andere wiederholt mehrmals dieselbe Geschichte von der Enkelin, die zerrissene Hosen trägt und diese trotz mehrmaligen Ermahnens einfach nicht auszieht. Auch weiß jeder von ihrem Sohn, der Abitur hat und ab und an im Ausland tätig ist.

Wir merken, wie die Menschen mit der Zeit abbauen“ erzählt Knödler, „vor zwei Jahren konnte eine der Damen sich noch verständigen.“ Heute findet die 83- Jährige einfach nicht mehr die richtigen Worte.„Aber singen kann sie noch wie ein Profi“, lacht Knödler, die für die Demenzgruppe eine Weiterbildung im Bereich Gerontopsychiatrie gemacht hat. Nachdem alle ihren Kuchen vertilgt haben und auch der letzte Kaffee ausgetrunken ist, wird gesungen. „Jaja die Jugend kennen Volkslieder gar nicht mehr“, meinen die Teilnehmer nur und schütteln an dieser Stelle alle gemeinsam den Kopf.

Eier färben mit Zwiebelschalen

Ostergärtchen
Die gefärbten Eier kommen in das selbst gemachte Ostergärtchen. (Foto: Privat)

 Erstaunlich ist, dass alle Gäste textsicher mitsingen. Knödler: „Als ich angefangen habe, hat es Zeit gebraucht bis alle sicher wurden. Gerade beim Sport waren die Gäste am Anfang unsicher. Aber durch die konstante Struktur, die wichtig für diese Menschen ist, gewinnen sie Vertrauen.“ Nach dem Singen führt die Leiterin in die heutige Bastelstunde ein. Auf dem Plan steht Eierfärben und ein selbstgemachtes Ostergärtchen. „Haja, die ham mir immer mit Zwiebelschalen gfärbt“, freut sich eine Dame. Und genau so darf sie es heute auch machen. Die Zwiebelschalen kommen mit Wasser und den Eiern in einen Topf und werden erhitzt. Zum Schluss sollen aus den anfänglich weißen Eiern braune werden. Während ein Teil der Mitarbeiterinnen sich um den Herd kümmert, basteln sich die anderen Teilnehmer ihr Ostergärtchen aus dünnen Zweigen. Eine der Frauen ist ganz aufgeregt und erzählt freudig, wie sie auch früher schon zu Ostern Vorbereitungen getroffen haben. „Da gab‘s immer Streit“, weiß eine der Damen noch, als wäre es gestern gewesen. „Mein Bruder und ich wollten so viele Eier wie möglich färben.“ Auch die anderen erzählen aus früheren Zeiten und von alten Ritualen. „Wir versuchen Dinge zu machen, die die Besucher aus ihrer Kindheit kennen“, erklärt Knödler.

Einfach ist anders

Auch wenn heute alles friedlich wirkt, einfach seien die Nachmittage nicht. Auf jeden Gast müssen die Betreuer einzeln eingehen. Je nach Tagesform kann das sehr anstrengend sein. „Da brauchst du Nerven wie Drahtseile, um nicht die Geduld zu verlieren.“ Auch die Vorbereitungen nehmen viel Zeit in Anspruch.
Sei es das Bastelmaterial besorgen, Brainstorming nach Beschäftigungsideen oder die Umsetzung an sich. Doch die geduldige Krankenschwester weiß, welche Hilfe und Entlastung sie für die Angehörigen darstellt und wie viel es jedem ihrer Gäste bedeutet, einmal in der Woche in ihre Gruppe zu kommen. „Jedes Mal aufs Neue ist es mein Ziel, dass meine Gäste zufrieden nach Hause gehen“