Ich pflege: Johannes Paetzold (66)

„Ich verwalte ein Geschenk“

Johannes Paetzold (Foto: privat)

Kurzsteckbrief
Name:
Johannes Paetzold
Alter: 66
Ort: Heddesbach/Odenwald
In der Pflege seit: 1989
Beruf: Industriekaufmann, Seelsorger, Altenpfleger
Arbeitsumfeld: Heimleiter und Altenpflege

Herr Paetzold, warum sind Sie Altenpfleger geworden?

Johannes Paetzold: Gegen Ende meiner Ausbildung zum Industriekaufmann war ich mit einer christlichen Jugendgruppe in Wien und habe mich dort entschieden, für Gott zu arbeiten. Nach dem darauffolgenden Theologiestudium war ich zunächst einige Jahre in der Familien-Seelsorge tätig. Und als das meine sechsköpfige Familie nicht mehr ernährte, wurde ich mit 38 Jahren noch Altenpfleger. Tatsächlich arbeite ich heute in allen drei Berufen. Das Betriebswirtschaftliche benötige ich als Heimleiter, das Seelsorgerische im Umgang mit den Bewohnern und zu 80 Prozent bin ich weiterhin „am Bett“ tätig. Diese Mischung bietet mir große Erfüllung. Ich verwalte ein Geschenk.

Sie haben gleich nach der Ausbildung ein eigenes Haus gegründet. Warum?

Ich war unzufrieden, wie Pflege im Alltag abläuft. Denn für vieles, das Altenpfleger in der Ausbildung lernen, blieb keine Zeit. Heute noch viel weniger. Und ich fand, dass man das besser machen kann. Der Schichtdienst ist eine mörderische Arbeitsordnung, weil die Mitarbeiter zwischen allen Aufgaben hin und her springen, für die Bewohner keine Zeit bleibt und so Beziehungen zerstört werden. Alle sind unzufrieden.

Wie haben Sie das in Ihrem Haus gelöst?

Wir arbeiten sieben Tage in zwei Schichten, danach sind sieben Tage frei. Durch entsprechende Pausen halten wir das Arbeitszeitgesetz ein. Außerdem kümmern wir uns nacheinander um die Bewohner. Wir haben uns ein halbes Jahr gegeben, um diesen veränderten Rhythmus auszuprobieren und danach wollten alle so weitermachen. Durch die längere Schicht können wir uns wirklich um unsere Bewohner kümmern. Jeder Mitarbeiter muss jenseits von pflegerischen Tätigkeiten und Dokumentation täglich eine Stunde kommunizieren. Das führt dazu, dass unsere Bewohner wieder aktiver geworden sind, sich beispielsweise selbst die Zähne putzen oder sich waschen und sich selbständig beschäftigen.

Das war sicherlich auch gewöhnungsbedürftig für die Bewohner?

Natürlich, wenn einer nach dem anderen betreut wird, gibt es sozusagen Wartezeiten. Aber wenn ein Pfleger da ist, dann ist er wirklich präsent und nicht in Gedanken schon wieder beim Nächsten. Die Betreuungszeit ist nicht nur länger, sie gewinnt an Qualität. Der Aufenthalt in einem Heim beträgt bundesweit 3,5 Jahre. Bei uns sind es 7,5 Jahre.

Weil Sie die fitteren Senioren haben?

Unsere 17 Bewohner sind genauso pflegebedürftig wie in anderen Heimen. Wir haben 70 Prozent Demente, körperlich und geistig Behinderte oder psychisch Kranke – sonst könnten wir das Haus nicht finanzieren. Aber vielleicht haben unsere Alten mehr Lebensfreude. 16 singen in unserem Chor, die haben richtig stimmliche Kraft. Darunter ist übrigens ein Schlaganfallpatient, der nicht mehr sprechen kann. Ich glaube, wer ältere Menschen würdig pflegt, weckt deren Lebensgeister und erlebt einige Wunder.

Sie haben neun Mitarbeiter im Haus. Entspricht das dem üblichen Schlüssel?

Nein, auf Grund der Bewohnerstruktur stehen uns lediglich 6,93 Planstellen zur Verfügung. Unter unseren Mitarbeitern – Altersdurchschnitt übrigens 61 Jahre – sind zwei 450-Euro-Kräfte. Diesen personellen Mehraufwand finanziere ich auf eigene Kosten. Ich verdiene so viel wie ein Altenpfleger, der seit zehn Jahren tätig ist.

Was läuft aus Ihrer Sicht falsch im deutschen Pflegewesen?

Es wird zu wenig Personal genehmigt. Es ist doch nicht so, dass wir zu wenige Pflegekräfte hätten. Wir haben sie nur aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen verheizt und der schlechten Bezahlung vergrault. Die sitzen als ausgebildete Fachkräfte heute an der Kasse von Lidl oder Aldi. Ich habe ausgerechnet, dass 0,2 Prozent mehr Beiträge in der Pflegeversicherung eine ausreichende Grundversorgung gewährleisten würden. Das scheint politisch allerdings nicht gewollt.

Wie haben Sie das Haus eigentlich finanziert?

Die Baukosten beliefen sich damals auf knapp über eine Million Mark. Eigenmittel hatte ich keine, deshalb bin ich bei der Bank zunächst gescheitert. Erst als eine Fachfirma meine Idee unterstützte, kamen wir weiter. Die Bank hat dann nochmals 150.000 Mark finanziert und eine spätere Mitarbeiterin hat die gleiche Summe hinzugegeben. Obwohl wir das Haus erweitert haben, werden wir 2021 wohl schuldenfrei sein. Zehn Jahre vor der ursprünglichen Kalkulation.

Warum heißt das Haus Maranatha?

So haben sich die Christen in Zeiten der Verfolgung durch die Römer gegrüßt. Es ist griechisch und bedeutet: Unser Herr kommt. Davon bin ich überzeugt und ich wünsche mir, dass die Mitarbeiter mit dieser Einstellung arbeiten und die Bewohner hier so leben können.

 


Jens Gieseler ist Kommunikationsberater, Journalist und Heilpraktiker für Psychotherapie. In den letzten beiden Lebensjahren war sein Vater pflegebedürftig. Deshalb hat er sich mit der Pflegebürokratie herumschlagen müssen und viel Sensibilität für das Altern und Sterben entwickelt. Erkenntnis: Beziehungen werden immer wichtiger.