Ich pflege: Anja Gutzschebauch (26)

„Vor Ort bin ich auf mich gestellt“

Anja Gutzschebauch (Foto: privat)

Kurzsteckbrief:
Name: Anja Gutzschebauch
Alter: 26
Ort: Leipzig
Beruf: examinierte Pflegekraft mit Zusatzqualifikation Beatmungspflege, Freiberufliche
In der Pflege seit: 2007

Anja, wie sah dein Weg in die Pflege aus?

Ich wollte schon immer Kinderpflegerin werden. Nach der Schule habe ich erst eine hauswirtschaftliche Ausbildung im Pflegeheim gemacht. Mit den Menschen zu arbeiten, gefiel mir. Also entschied ich mich danach ein freiwilliges soziales Jahr in der Altenpflege zu absolvieren. Ich war begeistert und schob die Ausbildung zur Altenpflegerin nach.

Wo arbeitest du jetzt?

Momentan bin ich freiberufliche Beatmungspflegerin und betreue Kinder 1:1. Zu meinen Einsatzfeldern gehören Beatmungs- und Weaninghäuser (Weaning = Beatmungsentwöhnung) oder die häusliche Pflege kranker Kids.

War es eine bewusste Entscheidung, die Altenpflege zu verlassen?

Ja. Für mich ist die Pflege am Ende des Lebens keine Option mehr. Um fachlich richtig zu pflegen, fehlt in den Heimen die Zeit. Die Arbeitsbelastung ist extrem hoch. Du kannst dich nicht individuell um einen älteren Menschen kümmern.

Was sind deine Aufgaben in der Beatmungspflege?

Ich überwache die Vitalzeichen und die Sauerstoffsättigung meiner kleinen Patienten. Fällt sie ab, muss ich schnell handeln.  Maßnahmen sind beispielsweise die Gabe von Sauerstoff oder Medikamenten und Atemtherapie. Ich achte darauf, dass meine Patienten möglichst frei atmen können. Bei Bedarf sauge ich festsitzenden Schleim und andere Sekrete, welche die Atmung beeinträchtigen ab. Etwa durch Mund, Nase oder einen Luftröhrenschnitt. Manchmal sind meine Patienten auf Dialyse oder andere Nierenersatztherapien angewiesen. Die führe ich dann durch. Natürlich gehört auch die Grundpflege dazu. Das heißt waschen, Essen reichen oder umlagern. Besonders wichtig ist außerdem die Betreuung des Kindes. Das heißt, spielen, vorlesen oder Ausflüge machen. Und genauso gehört der Umgang mit den Anghörigen zum Job. Ich höre zu, erkläre und stehe bei, wo ich kann.

In der 1:1-Pflege bist du sehr nah dran. Auch am Familiengeschehen. Wie gehst du damit um?

Möglichst offen. Ich frage die Familie nach ihren Tagesabläufen und in wie weit sie mich darin integrieren möchten. Ob ich mich in ruhigen Phasen im Kinderzimmer oder in der Küche oder in einem extra Raum aufhalten soll. Das muss abgeklärt sein. Für die Familien ist es anfangs ungewohnt immer fremde Leute im Haus zu haben. Ich versuche ihre Privatsphäre zu respektieren. Etwa störe ich nicht beim Sonntagsfrühstück.

Was ist das Besondere an dieser Art der Pflege?

Ich kann mich auf den Patienten individuell einlassen, seine Geschichte in meine Arbeit miteinbeziehen, ihn gezielt fördern. Gleichzeitig lerne ich die Angehörigen kennen und kann ihnen besser helfen, als in den oberflächlichen Strukturen eines Krankenhauses oder im Heim.

Gibt es auch Schattenseiten?

Vor Ort bin ich auf mich gestellt. Ich hab keine Kollegen oder Ärzte, die mir Tipps geben. Im Notfall hängt also alles von meiner Reaktion ab.

Und wenn ein Kind stirbt?

Dann versuche ich, es nicht zu nah an mich ranzulassen. Erst im März ist meine zehnjährige Palliativ-Patientin gestorben. Ihre Mutter war lange darauf vorbereitet. Trotzdem lief es mir eiskalt den Rücken runter, als ein „Das war’s“ laut ausgesprochen wurde. Für das Kind war es eine Erlösung, dessen bin ich mir sicher. Und ich bin froh, sie bis zum Ende begleitet zu haben.

Wie verarbeitest du solche Erlebnisse?

Indem ich darüber rede. Mit Kollegen, mit Freunden, mit den Angehörigen. Sich gegenseitig mal in den Arm zu nehmen, hilft schon viel. Die Mutter der Kleinen hat mir nach dem Tod ihrer Tochter einen Brief geschrieben, sich für alles bedankt und mir geschildert, wie und wo sie sich ihre Annika* jetzt vorstellt. Das war eine gute Erfahrung.

Warum pflegst du überhaupt? Was ist das Schöne daran?

Ich pflege, um Menschen zu helfen. Es freut mich, wenn ich Fortschritte beobachte und ich möchte meine Patienten im Alltag begleiten. In wenig anderen Berufen erfährt man solch große Dankbarkeit. Außerdem ist es mir wichtig, mein medizinisches, pflegerisches Fachwissen einsetzen zu können. Ich fühle mich gebraucht.

Vielen Dank für das Interview, Anja. Alles Gute für dich!

*Name von der Redaktion geändert

Mehr Infos zu Anja und ihrer Arbeit finden Sie hier