Das Klischee der sexy Krankenschwester

Krankenpflege zwischen Prostitution, Professionalität und Porno-Film

Männer sehen weibliche Autoritätsfiguren wie Lehrerinnen, Polizistinnen oder Krankenschwestern gerne als hypersexualisierte Lustobjekte. (Bild: Fotolia)

„Wo tut’s denn weh?“ haucht die Krankenschwester im knappen Kittelchen mit tiefem Dekolleté: Die sexy Krankenschwester ist sowohl Klischee in Film und Fernsehen als auch beliebte Verkleidung auf Kostümpartys.

„Jedes Jahr zu Fasching oder Halloween tummeln sich auf den Straßen die sexy Krankenschwestern im Beate-Uhse-Lackkostüm“, seufzt Jutta Lindner. Die ausgebildete Krankenschwester hat 24 Jahre in der Pflege gearbeitet. Sie weiß, wie stressig und belastend der Beruf sein kann. Auf Pflegekräfte warte auf der Arbeit nun wirklich kein Erotik-Feuerwerk, dafür aber ein erhöhtes Burnout-Risiko. Seit 2007 macht die Saarländerin bissiges Kabarett über Missstände und Absurditäten in der Branche. Nebenher räumt sie mit manchem Klischee über die Pflege auf. „Die sexy Krankenschwester haben Männer erfunden. Dahinter steht der Wunschtraum umsorgt zu werden und zwar von einem stets willigen Sexpüppchen“, erklärt die 48-Jährige.

Der Männertraum aus dem „Blaulichtmilieu“

Jutta Lindner zieht als Nachtschwester Lackmeier die Männerphantasie durch den Kakao. (Foto: Jutta Lindner)

Als Nachtschwester Lackmeier nimmt die Kabarettistin diese Männerfantasie vom lüsternen Engel in Weiß auf die Schippe: Im knappen Kostüm, mit Häubchen und Strapse, präsentiert sich die Dame aus dem „Blaulichtmilieu“ als fleischgewordener Männertraum. Und entlarvt das Wunschkonstrukt, indem sie einige Momente später in authentische Arbeitskleidung wechselt: Schlupfkasack und Gummizug-Hose. Kein bisschen sexy, dafür bequem und den Hygienevorschriften entsprechend.

Die sexy Krankenschwester verwöhnt männliche Egos

Mit der Realität hat die sexy Krankenschwester also wenig gemein. Wo das Klischee seine Ursprünge hat und warum es bis heute populär ist, bleibt jedoch unklar. Auf psychologischer Ebene beschützt das Klischee möglicherweise fragile männliche Egos: Als Mann auf die Hilfe von Frauen angewiesen und ihrer Macht ausgeliefert zu sein, lässt sich leichter ertragen, wenn die Frau zum Lustobjekt degradiert wird. Möglicherweise habe die freizügige Mode der 70er Jahre dazu beigetragen, das Klischee zu festigen, mutmaßt Lindner.

Pflege und Prostitution

In der Tat erlebte das Klischee der sexy Krankenschwester in den 70er Jahren einen Durchbruch: Im Pornofilm. Carol Connors verführt im Sexfilm-Klassiker „Deep Throat“ aus dem Jahre 1972 als „sexy nurse“ den Stationsarzt. Ihre Darstellung machte das Klischee in der Porno-Branche und darüber hinaus populär. Das verruchte Image der Pflege ist allerdings älter. Zu Zeiten von Florence Nightingale, Mutter der modernen Pflege, war Frauenarbeit verpönt. Somit arbeiteten vor allem Frauen, die aus unteren Schichten stammten und auf das Einkommen angewiesen waren. Viele Professionen standen ihnen nicht offen. Daher verdienten sie ihr Geld mit Prostitution – und mit Pflege.

Sexy Krankenschwester würdigt Pflege herab

Durch die Professionalisierung der Pflege genießen Pflegekräfte heute einen ganz anderen Ruf. Doch ein Image-Problem bleibt: Immer noch gilt Pflege als ein „typisch weibliches“ Berufsfeld, für das wenig Qualifikationen erforderlich scheinen. Das Klischee der sexy Krankenschwester fügt sich in dieses Verständnis von Pflege ein und verstärkt es. Das schreckt so manchen Bewerber ab. Somit schadet das Klischee dem Ansehen des Berufsstandes. Außerdem übt es zusätzlichen Druck auf weibliche Pflegekräfte aus: Sie sollen trotz geringer Bezahlung unter schwierigen Bedingungen einen guten Job machen. Und gleichzeitig Projektionsfläche für männliche Phantasien sein.

Kitsch-Tussis vs. Pflege-Profis

Professionelle Pflege im Schlupfkasack (Foto: Jutta Lindner)

„Mich ärgern vor allem diese Kitsch-Tussis aus Krankenhaus-Serien, die immer freundlich bleiben, ihre Aufgaben stets manierlich erledigen und dabei noch gut aussehen“, schimpft Jutta Lindner. Denn solche Darstellungen verfälschen ebenfalls das Bild vom Pflege-Beruf. Am Ende der Schicht sind Pflegekräfte erschöpft, verschwitzt und mit verschiedenen Körperflüssigkeiten bekleckert. Unter dem Personal- und Zeitmangel auf den Stationen leidet auch schon mal der Tonfall: Da wird dann eben mal rumgemault oder die Kollegen angeblafft.

Selbstironie und Galgenhumor  an Fasching und Halloween

Trotzdem vermisst Lindner an der Pflege vor allem den Gemeinschaftsinn und den Umgang mit Menschen. „Ich hatte immer tolle Teams“, erinnert sich die Saarländerin. Mit ihrem Kabarettprogramm lädt sie ihre Kollegen ein, über sich und den Job zu lachen. Die Pflege nimmt’s mit Humor: „Die, die am lautesten lachen, arbeiten meist auf den Stationen oder Wohnbereichen“, schmunzelt die Kleinkünstlerin. Und mit viel Selbstironie und ein wenig Galgenhumor lassen sich auch die sexy Krankenschwestern an Halloween und Fasching ertragen.

Infobox:

Wer Jutta Lindner als Nachtschwester Lackmeier oder Oma Frieda live erleben möchte, kann hier Karten kaufen. Sketche und Ausschnitte aus dem Bühnenprogramm gibt’s auf Youtube. Alle weiteren Infos rund um die Nachtschwester findet ihr im Netz.

 

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